Zu grosse Versandverpackungen

6 min lesen 21 Juli 2020

Warum sind Pakete eigentlich immer noch viel zu oft viel zu gross? In einer Paketlieferung im deutschen Onlinehandel ist durchschnittlich 50% Luft, schätzen Logistikexperten. Ist das nicht teuer? Im Gegenteil: Das spart den Versandhändler viel Zeit und Geld.

Anders als bei Privatkunden macht nämlich die Grösse des Kartons im Versand kaum einen Unterschied im Porto. Stattdessen wird bei der Ermittlung der Versandkosten häufig das Gewicht zugrunde gelegt – das geht schneller und ist einfacher maschinell zu ermitteln.

Der verbreitete Glaube «Kleine Kartons – weniger Porto!» stimmt also in der Praxis nicht unbedingt.

Wenn das Porto keine Rolle spielt, warum greifen Versender dann oft zum zu grossen Karton, wenn sie doch dann eine grössere Menge an Füllmaterial verwenden müssen? Hier spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle: Um einen Versandkarton passgenau zu befüllen, muss deutlich mehr „gepuzzelt“ werden als wenn man grosszügig „auf Abstand“ packt. Auch Erfahrung und Augenmass des Kommissionierers setzt es voraus: Er muss die Grösse der einzelnen Posten der Bestellung überschlagen und abschätzen.

Die Entscheidung über die Grösse des Versandkartons oder der Stülpschachtel fällt häufig nach dem ersten Blick über die Bestellung. Dabei wird beim geringsten Zweifel zum grösseren Karton gegriffen. Es ist ein bisschen wie Reste vom Mittagessen verpacken: Täuscht das Augenmass, muss alles wieder umgepackt werden ins nächstgrössere Tupper. Abwaschen muss man nachher beide.

Der Versand-Mitarbeiter wird gemessen an der Zahl bearbeiteter Bestellungen. Stellt sich der Karton am Ende als zu klein raus, bedeutet das: Zurück auf Anfang, die komplette Bestellung umpacken. Meist schneller und einfacher (und vom Arbeitgeber unterstützt): Am Ende des Packvorgangs den Hohlraum im viel zu grossen Versandkarton mit Füllmaterial wie beispielsweise flo-Pak ausfüllen.

Verpackungsmaschinen und Automatisierung

Ist die Auswahl an möglichen Versandkartons zu gross, geht für die Abwägung einiges an Zeit „drauf“ – was sich in den Lohnkosten niederschlägt. Es sei denn: Der Prozess läuft automatisiert ab. Einige Onlinehändler schauen sich bereits nach neuen Technologien um – sei es aufgrund von Umweltaspekten oder aber wegen des zunehmenden Drucks der Endverbraucher. In der eigens für solche Fragen zuständigen Abteilung Verpackungs- und Handelslogistik/Verpackungsoptimierung des Fraunhofer Instituts für Materialfluss und Logistik (IML) beschäftigt man sich unter anderem mit einem vielversprechenden Ansatz: Einer Augmented Reality Brille für den volumenoptimierten Verpackungsvorgang. Mithilfe der Datenbrille werden die Masse und das Volumen der einzelnen Packstücke erfasst und die passende (kleinstmögliche) Grösse des Versandkartons ermittelt. Anschliessend wird der Mitarbeiter bzw. der Mitarbeiterin durch den Packprozess geleitet und bekommt genau angezeigt, wo im Karton welches Produkt platziert werden muss, um möglichst wenig Leerraum zu erreichen.

Augmented Reality Brille oder Anleitung via LED

Ein wirklich vielversprechender Ansatz. Noch muss an der Akkulaufzeit nachgebessert werden, noch sind die AR Brillen zu gross, zu schwer und damit in der Praxis nicht für den Einsatz über Stunden geeignet. Aber in der Zwischenzeit arbeitet das IML gemeinsam mit der Firma Hüdig + Rocholz an einer weiteren Lösung:

Im Packtisch integrierte Technik leiten den Packer mithilfe von LEDs an und helfen beim «Puzzeln». So soll eine Reduzierung des Luftraumes im Karton um rund 20% erreicht werden. Der »iPackAssist« ist der Prototyp eines neuen Verpackungsarbeitsplatzes: Bislang mussten Kommissionierer meistens eigenständig entscheiden, welcher Karton zu welcher Sendung passt und wie die Artikel darin aufgeteilt werden sollen. Um entlang dieses Prozesses zu unterstützen, hat das Fraunhofer IML zwei Technologien entwickelt: »PUZZLE®« ist eine intelligente Software zur Paketauswahl und Berechnung von Verpackungsanweisungen. Zur interaktiven Visualisierung dieser Anweisungen kann das Assistenzsystem »PAsst« genutzt werden. Dieses System wird am Stand in einen Tisch integriert und kommuniziert mit PUZZLE®.

Wer hat nun Schuld an den grossen Kartons?

Es sind also die hochkomplexen Zusammenhänge und Abläufe in einer meist „gewachsenen“ Logistik, die zu viel zu grossen Lieferungen führen – zusammen mit dem Gewinnstreben der Onlineshops. Denn diese „buhlen“ mit immer schnelleren Lieferzeiten um ihre Kundschaft. Besonders die grossen Versender geraten hier unter Zeitdruck. Warenverfügbarkeit und Lieferzeiten sind ein absolutes Verkaufsargument, Lieferung am Folgetag oder sogar Same-Day-Delivery ein Standard, der vom Verbraucher fast schon erwartet wird.

Der Verbraucher kann mitsteuern,  Expresslieferungen müssen schnell gepackt werden, das führt auch häufiger zu schlecht gepackten Paketen. Auch Endverbraucher tragen also eine gewisse Mitverantwortung: Wer bei kleineren, spezialisierteren Händlern bestellt, muss in der Regel länger auf die Zustellung warten – erhält aber meist ein passgenaues, gut verpacktes Paket: Denn auch beim Verpacken und Versenden bleibt dann mehr (Planungs-) Zeit.

«Auch als Endverbraucher bleibt also mehr als sich über zu grosse Pakete zu beschweren: Wer längere Lieferzeiten hinnimmt, lässt auch der Logistik mehr Zeit.“

Nun weiss man aus eigener Erfahrung: Manchmal muss es eben einfach schnell gehen. Aber eben auch nicht immer. Einige Onlineshops bieten im Laufe des Bestellvorgangs Wahlmöglichkeiten zum Versand: Der Expressversand wird teurer berechnet.

Warum sind zu grosse Versandverpackungen ein solches Problem?

Viele Gründe liegen auf der Hand: Wird viel Luft mitverpackt, müssen grössere bzw. mehr Lieferwagen auf Tour. Das bedeutet mehr CO² – Ausstoss bei der Zustellung und mehr Verkehrsaufkommen bzw. Verkehrsbehinderung in den Städten. Durch das Parken in zweiter Reihe kommt der Verkehr ins Stocken, was wiederum dazu führt das mehr CO² von wartendenden Fahrzeugen ausgestossen wird.

Gerade die Verkehrssituation in den Innenstädten ist ein Problem: Über 7 Milliarden Kilometer legten Güterfahrzeuge laut Bundesamt für Statistik 2021 in der Schweiz zurück. Tendenz: Steigend. Die Innenstädte geraten an den Rand des Verkehrsinfarkts. Und der Druck auf Versender und Versanddienstleister wächst: Alternative Lösungen müssen her. Am deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Adlershof beschäftigt sich Professor Gernot Liedtke, Leiter der Abteilung «Wirtschaftsverkehr» mit solchen Fragen. Laut Liedtke ist gerade die Zahl der Kleintransporter in den letzten Jahren immens gestiegen:

„Sie können quasi sagen, dass sich von 1995 bis heute die Zahl kleiner Güterfahrzeuge versiebenfacht hat. Und das ist der Hammer. Und das sind Fahrzeuge, die fahren in der Region, die fahren in der Stadt, die legen 50 bis 150 Kilometer pro Tag zurück. Und das sind die, die man überall in der Stadt am Strassenrand halten sieht.“

Dazu kommt: Eine ganz grosse Zahl an Bestellungen wird ganz oder doch zumindest teilweise retourniert. Kam die Ware bereits zu gross, so ist in der Rücksendung, nach Entnahme einiger Artikel, noch mehr Luft. Auch hier: Grössere Fahrzeuge oder eine höhere Frequenz werden nötig. Schon jetzt macht der Wirtschaftsverkehr rund 30% des Gesamtverkehrsaufkommens einer Stadt aus, wie Kirsten Havers, Leiterin des Projektes Klimafreundlicher Lieferverkehr beim Bund für Umwelt – und Naturschutz Deutschland.

Fazit: Es gibt definitiv Handlungsbedarf. An Ideen und Technologien scheitert es nicht. Ein wichtiger Faktor ist, neben Industrie, Politik und Handel: Der Kunde. Denn solange derselbe Kunde, der sich über zu grosse Pakete oder zu viele Teillieferungen ärgert, nur ungern auf schnelle und möglichst kostenfreie Lieferung verzichtet, wird’s schwer.
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